Nach 5 Jahren 2017-22

Kurz nach dem erfolgreichen Verkauf unseres Mietshauses an die Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft im Frühsommer 2018 wurde das kultige alte „Malergeschäft Klaus Geschke“ geschlossen. Es wurde in den Wirtschaftswunderjahren vom Vater des Vorbesitzers unseres Anwesens gegründet. Erst nach einiger Zeit des Leerstands vor zwei Jahren zog ein Fahrradgeschäft ein.

Fahrradladen an der Ecke Großgörschenstr. 8 / Neue Kulmer Str. 1 im November 2022

Vor dem Schaufenster trafen wir im Corona-Sommer 2020 den Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann mit seinem Kameramann, um unsere Zusammenarbeit bei der Erwirkung des ersten Vorkaufsrechts für unser Miethaus im Milieuschutzgebiet Schöneberg-Nord zu erinnern. Herr Oltmann teilte uns gutgelaunt mit, er sei Kunde im Fahrradladen und käme gelegentlich hier vorbei. Es gäbe nach uns inzwischen noch ein paar weitere erfolgreiche Miethausprojekte in Schöneberg, denen es mit seiner Unterstützung gelungen war, das Vorkaufsrecht zu erwirken. Unser Kampf vom Dezember 2017 bis zum Sieg im Mai 2018 als erstes Beispiel des Gelingens hatte wohl auch Strahlkraft für weitere Initiativen.

Doch so schön sich das anhört: Es ist es immer noch peinlich, dass es bei der Relation von 300.000 Einwohnern in Berlin-Schöneberg doch nur deutlich unter 10 Miethäuser geblieben sind, die das Vorkaufsrecht wahrnehmen konnten. Es hätten angesichts der Spekulantenflut und anschließenden Welle der Mehrfachverkäufe vermieteter Häuser deutlich mehr Initiativen sein können. Doch viele betroffene Mietparteien gingen nicht so weit wie wir, weil die Bewohner vielleicht nicht so organisiert, so informiert, so entschlossen kämpferisch, und auch so „medienkompetent“ wie wir es waren, durch die zufällig in unserem Haus vertretene Mischung von Berufen. Viele Mieter anderer Häuser vertrauten stattdessen auf „Abwendungsvereinbarungen“ mit den neuen Besitzern und haben sich durch einen Vertrag zur Abwendung von z.B. Mieterhöhungen, unnötigen Sanierungen usw. ruhigstellen lassen. Nur deshalb stimmten sie zu, ihr Vorkaufsrecht nicht weiter anzustrengen und waren über den ersparten Kampf erleichtert. Leider vermeintlich, wie sich nun herausstellte.

Denn inzwischen ist abermals mit Unterstützung der FDP auch dieser Ausweg als wirksames Mittel des Mieterschutzes zerstört worden: Zuerst konnte die FDP vor einem Jahr im November 2021 aufgrund „juristischer Fehler“ das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten kippen, ein Jahr später im November 2022 gelang ihr auch die Gültigkeit der vermeintlich sicheren Abwendungsvereinbarungen in Milieuschutzgebieten zu kippen. Der Häuser-Cash-Kauf-Bargeldfreunde-Partei ist nach der vorangegangenen Vereitelung auch des Mietendeckels in Berlin ein echter 3-fach-Sieg bei der Schaffung der Grundlagen für eine problemlose Mietervertreibung in Berliner Milieuschutzgebieten zu bescheinigen. Uns fehlen die Worte, denn es bedeutet im Rückblick, dass die Tür, durch die wir 2018 mit der Erwirkung unseres Vorkaufsrechts noch gehen konnten, nun für die vielen Berliner Mieter in anderen Spekulationsobjekten verschlossen bleibt.

Dieser erneute Sieg der Liberalen gegen die Berliner Mieter ist vernichtend: Wer sich im Milieuschutzgebiet kein Wohneigentum leisten kann, ist nun der Willkür der Hausbesitzer schutzlos ausgeliefert. Laut rbb-Abendschaubericht vom 6. November 2022 waren bereits zwei Tage nach dem jüngsten FDP-Erfolg der juristischen Anfechtung zur Gültigkeit von 315 getroffenen Abwendungsvereinbarungen zwischen (Neu-)Hausbesitzern und Mietparteien bereits 14 Klagen gegen die Verträge mit den Mietern angestrengt worden (siehe Link unten). Nicht nur, dass es seit Ende 2021 kein Vorkaufsrecht und damit überhaupt keine Hoffnung mehr für die von Spekulation betroffene Miethäuser in Milieuschutzgebieten gibt, nun werden auch geschlossene Verträge mit Mietparteien rückwirkend angefochten. Für Tausende Berliner Mieter ein leider wiederkehrender und nun nicht mehr endender Albtraum.

Mit diesem Signal des FDP-Horns ist nach dem ersten Rausch des Immobilien-Massenkaufs und dem anschließenden Mehrfach-Wiederverkauf nun die dritte Immobilen-Jagdsaison eröffnet: diesmal direkt auf die Menschen in Milieuschutzgebieten in den Berliner Altbauwohnbezirken.

Damit ist das Auspressen der Mieter nahezu wieder so ungehindert erlaubt, wie vor dem 2015 eingeführten Milieuschutz. Die systematische schrittweise Gewinnmaximierung folgt der Logik unregulierter Märkte: In der ersten Phase wurden die saftigen Profitmargen durch das systematische Verschlingen billiger Berliner Immobilien durch Großkäufer mitgenommen (Vermögende und Spekulationskonzerne, darunter auch kriminelle Organisationen mit viel Bargeld, wie z.B. die Mafia; siehe 2 Links ganz unten). In der zweiten Phase sorgten Mehrfachverkäufe der Spekulationsobjekte zur maximalen Wert- und Profitaufblähung. In vielen nicht von den Milieuschutzbestimmungen geschützten Objekten trieben kosmetische und Pseudoreparaturen die Mietpreise an die Wuchergrenze. Die durch die FDP ermöglichte dritte Auspressungsphase richtet sich nun gegen die Abwendungsvereinbarungen mit den Bewohnern selbst, die als letzte Profitausschöpfungshürde im Wege steht. Sie geht damit ans Eingemachte, nämlich direkt gegen die Existenz der Menschen und ihr Wohnrecht in den Miethäusern. Eine routinierte Anwaltsschar hilft gern‘ dabei, in den Milieuschutzgebieten die Berliner Immobilien-Süßfrucht nochmal so richtig bis zum letzten Tropfen auszuquetschen.

Warum die Ampelpartner der FDP und die Behörden so ahnungs- oder fassungs- oder teilnahms- oder verantwortungslos zu- oder wegschauen, bleibt im Nebel. Im RBB-Interview mit einem FDP-Politiker in der Abendschau vom 6.11.22 wurde sinngemäß geäußert, man könne doch auch beruhigt sein, dass nicht alle geschlossenen Abwendungsvereinbarungen rechtlich angegriffen werden, weil viele Hausbesitzer darauf verzichten würden –  freiwillig wohlgemerkt. Auf Spekulanten zu vertrauen gibt Berliner Mietern erst ein richtig gutes Sicherheitsgefühl (leider ist das Video der rbb-Abendschau nicht mehr abrufbar). Gekrönt wurde der Zynismus mit der geschmacklosen Begründung des interviewten FDP-Politikers, dass Hausbesitzer ja deshalb z.B. auch keine Aufzüge einbauen könnten, weil der Milieuschutz und die Abwendungsvereinbarungen die Barrierefreiheit geradezu ausschließen würden, das wäre ja ungerecht. So, als ob unter Milieuschutz stehende Altbauhäuser durch engagierte Besitzer nicht barrierefrei gemacht werden könnten in Absprache mit den Bewohnern.

Jens Koethner-Kaul, Vorstand Vorsitzender der Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V. von Dez. 2017-Nov. 2022

Das Recht zu wohnen ist in unseren Augen ein Menschenrecht. Während die Politiker der Ampelkoalition in anderen Ländern gerne über Menschenrechtsverletzungen sprechen (das ist gut so), tun sie sich in Bezug auf die Berliner Mieter schwer (das ist nicht gut so). Was die Menschen im eigenen Land betrifft, deren Wohnrecht und Lebensraum durch skrupellose Spekulanten bedroht werden, da ist man nicht zuständig oder es werden gerne beide Augen zugedrückt (siehe Videos unten zum Schwarzgeldparadies Deutschland, insbes. Satire-Beitrag in der Heute Show). Es ist offenbar recht mühsam und auch rechtlich „nicht so einfach“, und wohl auch bei einigen Regierungspartnern wie der FDP und den gerne im Hintergrund bleibenden dubiosen Investoren nicht so populär, die professionellen Gewinnmaximierer und Halbweltakteure mit ihren Schlupflochfindern mit rechtssicheren Mieterschutzgesetzen und Bestimmungen in ihre Schranken zu weisen. Offenbar kann je nach Lobbyeinfluss jede Mieterschutzbestimmung gekippt werden. Dank FDP und Helfern geht es nun seit Oktober 2021 (Ende Milieuschutz) und seit November 2022 (Ungültigkeit Abwendungsvereinbarungen) für Tausende von Menschen in Berlin wieder weiter auf dem Karussell der nackten Wohnraumangst. Die traditionell menschenrechtsbewussten Grünen oder Sozialdemokraten sollten sich mal ernsthaft an die Koalitionsnase fassen, denn was die FDP da systematisch unter dem Koalitionsmantel für die Immobilien- und Bargeldfreunde vorantreibt und durchzieht ist skrupellos und menschenverachtend.

Das haben wir heute nach 5 Jahren dazu zu sagen. Fremdschämen ist eines unserer Gefühle, und zwar für die versagenden Schutzmechanismen der Politik und dem Fehlen beherzter Persönlichkeiten, die sich für die Berliner Menschen in Miethäusern einsetzen. Nachdem wir im Frühling 2018 etliche Politiker verschiedener Parteien angesprochen hatten, haben uns 2018 ohne eine bestehende „Connection“ freimütig Gregor Gysi und Hans-Christian Ströbele nach unserem direkten Hilfsappell an Ihre Büros persönlich geholfen: zwei engagierte Politiker der alten Schule mit moralischer Integrität. Auch deshalb konnten wir den zwischen 2015 und 2021 geöffneten Türspalt für „Vorkaufsrecht“ noch nutzen. Natürlich haben auch wir nach der jüngsten Mieterschutzaufweichung sofort befürchtet, dass nun auch geschlossene Kaufverträge angegriffen werden könnten und die Heuschrecken von Albert Immo aus Luxemburg uns nochmal (und jetzt erst recht und mit Genuss) attackieren würden. Doch geschlossene Käufe gelten und sind nicht anfechtbar. Trotzdem können wir nicht „ganz beruhigt sein“, weil was da bei uns in Deutschland und Berlin an staatlich und behördlich organisiertem Mieterschutzversagen vorexerziert wird, ist himmelschreiend peinlich, weil es offenbar juristisch und handwerklich nicht wasserdicht ist. Auch im Punkt Transparenz und Mieterschutz liegt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weit zurück. Selbst wenn wir 2017 und 2018 hart und schlaflos mit schwankenden Gefühlen bis zuletzt an unserem Sieg gearbeitet und ihn gewiss auch irgendwo verdient haben: Unser Glück fühlt sich heute an wie ein Lottogewinn für einen Platz in einem Rettungsboot, der eigentlich jedem zustehen sollte.

Soweit unser Rückblick auf die ersten 5 Jahre unserer Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V. im Zeitraum zwischen der Vereinsgründung im Dezember 2018 und der Vereinsversammlung im November 2022.

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Nach 5 Jahren traten im November 2022 drei der vier Gründungsvorstände zurück. Sie gaben nach Ankündigung im Email-Hausverteiler vor der vorschriftsmäßigen Jahresversammlung (14. Vereinssitzung am 8. November 2022) ihren Rücktritt bekannt und wurden bei der Versammlung durch Neuwahl ersetzt. Der gemeinsame Kampf begann mit der Gründung unserer Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V. im Dezember 2017. Die im Auftrag der milliardenschweren Tetra-Pak-Erbengemeinschaft handelnde Immobilien-Heuschrecke Albert Immo aus Luxemburg wurde 2018 abgewehrt, die Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft erwarb in der Folge unserer Bemühungen und mit Unterstützung des Bezirksbürgermeisters und anderer Unterstützer unser Miethaus. Die Vorstände haben sich in dieser Zeit als gewählte Handelnde und als Sprachrohr für die 16 Mietparteien mit ganzer Kraft eingesetzt und gemeinsam mit allen Mietern und Unterstützern den Kampf gewonnen. Der Erfolg ist im Rückblick auch darauf zurück zu führen, dass zwischen 2017 und 2018 in allen protokollierten Abstimmungen bei den Vereinsversammlungen ein durchweg einstimmiger Rückhalt im Haus gegeben war.

Die Gründungsvorstände waren vom Dezember 2017 bis zum November 2022

Jens Koethner-Kaul (Vorstand Vorsitzender)
Susanne Morales (Vorstand Vertretung des Vorsitzenden)
Dr. Markus Erbach (Vorstand Schriftführer)
Ingrid Öhm (Vorstand Kassenwartin)

Der neue Vorstand seit dem 8. November 2022 setzt sich zusammen aus

Arno Schmittel (Vorstand Vorsitzender)
Susanne Morales (Vorstand Vertretung des Vorsitzenden, unverändert)
Natalie von Garnier (Vorstand Schriftführerin)
Volker Wendisch (Vorstand Kassenwart)

Es stehen neue Aufgaben für unsere Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V. an: Neben den alltäglichen Belangen der Verwaltung und immer wieder auftretender Reparatur- und Renovierungsmaßnahmen, betreffen sie bald auch die von Stadt und Land geplante denkmalschutzgerechte Fassadenrenovierung, oder auch Fragen der energietechnischen Erneuerung. Wir wünschen den neuen Vorständen viel Erfolg und werden sie nach Bedarf und Kräften weiter unterstützen.

Der ehemalige Schriftführer im Dezember 2022
im Namen des bisherigen Vorstand von 2017-2022

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LINKS:

November 2022 zur Aufhebung der Gültigkeit von Abwendungsvereinbarungen:

Abendschau Berlin im RBB am 6.11.2022 (Das TV-Interview bzw. das Video davon ist offenbar nicht mehr online, der Verfasser hat es gesehen.)

https://www.rbb-online.de/abendschau/videos/20221106_1930/berliner-verwaltungsgericht-urteilt-gegen-abwendungsvereinbarungen.html

„14 Eigentümer in Berlin kündigen Abwendungsvereinbarungen mit Bezirken“ (rbb24.de, 7.11.2022. Auch dieser Link ist offenbar zeitlich befristet zugänglich gewesen, der Verfasser hat den Bericht gelesen und bestätigte den Inhalt der Abendschau vom 6.11.22)

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/11/vorkaufsrecht-durch-die-bezirke-gekippt.html

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Vor einem Jahr ab November 2021 zur Aufhebung des Vorkaufsrechts:

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
„Soziale Erhaltungsgebiete Vorkaufsrecht“ (stadtentwicklung.berlin.de)

https://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/foerderprogramme/stadterneuerung/soziale_erhaltungsgebiete/vorkaufsrecht.shtml

 „Vorkaufsrecht: Bundesverwaltungsgericht setzt Berlin Grenzen“ (haufe.de, 10.11.2021)

https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/berlin-missbraucht-die-verwaltung-ihr-vorkaufsrecht_84342_405906.html

„Was das Urteil zum Vorkaufsrecht für Berlin bedeutet“ (rbb24.de, 10.11.2021)

https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/11/vorkaufsrecht-berlin-senat-urteil-hoechstrichterliche-rechtssprechung-verwaltung-bezirke-wohnungen-abwendungsvereinbarung-milieuschutz.html

„Was das Ende des Vorkaufsrechts für Berliner Mieter bedeutet“ (tip-berlin.de, 25.1.2022)

Zwei Links zum Schwarzgeldparadies Deutschland:

 „Deutschland – ein Paradies für Geldwäsche“ (Youtube: Ausschnitt Heute Show vom 15.10.2021)

Zur absurden Haltung gegen eine Bargeld-Obergrenze

„Leichtes Spiel für kriminelle Geldwäscher“ (Youtube: Ausschnitt aus ZDFzoom 2021)